Zwischenfall 1973 in Sellafield

Die Atomanlage in West Cumbria, die als Windscale bekannt wurde, und das spätere Sellafield, hat eine komplexe und oft verworrene Geschichte. In der öffentlichen Wahrnehmung werden die Ereignisse an diesem Standort häufig mit dem verheerenden Reaktorbrand von 1957 in Verbindung gebracht. Doch die Anlage erlebte auch nach diesem Vorfall weitere Zwischenfälle. Einer davon ereignete sich 1973. Er war weniger bekannt, wirft aber ebenfalls kritische Fragen über die Sicherheitskultur an diesem Standort auf.

Der Zwischenfall 1973: Ein kleinerer, aber aufschlussreicher Unfall

Am 26. September 1973 ereignete sich in der „First Generation Plant“, einer Wiederaufbereitungsanlage auf dem Sellafield-Gelände, ein Zwischenfall. Die Anlage war zuvor für ein Jahr wegen Wartungsarbeiten stillgelegt. Nach der Wiederinbetriebnahme kam es zu einer heftigen chemischen Reaktion, einem sogenannten „Blowback“. Dieser Vorfall führte zu einer Kontamination der Anlage und von 34 Arbeitern mit dem radioaktiven Isotop Ruthenium-106.

Der Vorfall wurde offiziell in einem Bericht des Chief Inspector of Nuclear Installations festgehalten. Auf der Internationalen Bewertungsskala für nukleare Ereignisse (INES) wurde er mit Level 4 eingestuft. Dies klassifizierte ihn als „ernsten Unfall“ mit erheblichen Konsequenzen für das Personal, aber ohne größere Auswirkungen auf die Umwelt außerhalb des Geländes. Die Konsequenz war die dauerhafte Schließung der betroffenen Anlage. Der Unfall von 1973 war kein Großereignis wie der Brand von 1957. Dennoch ist er aufschlussreich. Er zeigt, dass selbst Jahre nach der Katastrophe von 1957 weiterhin ernstzunehmende Zwischenfälle auf dem Gelände auftraten und die Sicherheit weiterhin eine Herausforderung darstellte.

Das andauernde Erbe und die ethische Dimension

Die Geschichte von Sellafield ist nicht nur eine Chronik technischer Unfälle, sondern auch eine des ethischen Versagens und der andauernden Umweltprobleme. Eine spätere Untersuchung, die Redfern Inquiry, enthüllte eine schockierende Praxis. Von den 1960er bis in die 1990er Jahre wurden Organe von verstorbenen Nukleararbeitern ohne deren Zustimmung entnommen und auf radioaktive Stoffe analysiert. Die Praxis diente angeblich der Verbesserung des Strahlenschutzes, war jedoch ein eklatanter Vertrauensbruch. Sie zeigte eine Kultur auf, in der Menschen als Forschungsobjekte und nicht als Individuen mit Rechten behandelt wurden. Dies stellt einen der dunkelsten Aspekte der britischen Nukleargeschichte dar.

Zusätzlich zu diesen ethischen Schatten hinterlässt Sellafield ein massives Umweltproblem. Die historischen Ableitungen von radioaktiven Abwässern, insbesondere Cäsium-137, in die Irische See, erreichten ihren Höhepunkt im Jahr 1975. Die Entsorgung dieses Erbes wird Generationen beschäftigen. Studien haben ergeben, dass unterirdische Lecks aus den 1970er Jahren zu einer langsamen Ausbreitung von radioaktiver Kontamination im Grundwasser geführt haben, die auf das Meer zufließt.

Fazit Eine Geschichte von Atomforschung und mangelnder Transparenz

Die Aufarbeitung der Geschehnisse um Sellafield lehrt uns, dass staatliche Narrative kritisch hinterfragt werden müssen. Der „Blowback“-Unfall von 1973 ist ein Beweis für die anhaltenden Sicherheitsprobleme auf dem Gelände.

MerkmalUnfall von 1973
Art des UnfallsChemische Reaktion in einer Wiederaufbereitungsanlage
OrtFirst Generation Reprocessing Plant (Gebäude B204)
Ursache„Blowback“ (chemische Reaktion)
INES-EinstufungStufe 4
SchlüsselkonsequenzKontamination von 34 Arbeitern und permanente Schließung der Anlage

Die Erfahrungen der Arbeiter und Anwohner, die unethischen Praktiken der Organentnahme und die andauernden Umweltprobleme zeigen, dass der Preis für den nuklearen Ehrgeiz weitaus höher war, als die offiziellen Berichte lange Zeit vermuten ließen.
Bild: Simon Ledingham, CC BY-SA 2.0, Link

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